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Nachrichten für RAUMRAUSCHEN
#stayathome
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QUARANTÄNE-WEIHNACHT
16. Dez. 2021
Es war mein persönlicher Super-GAU: Am 14.12.2020 kam die Info, ein Kind aus der Kita wäre positiv getestet. Der ganze Kindergarten ging in Quarantäne, bis zum einschließlich 25.12., Weihnachten war gestorben. Ich selber hatte hingearbeitet auf diese Weihnachtspause, steckte noch mitten im Friedenslicht und dem Weihnachtspodcast. Alles kam zum Erliegen. Wir waren auf uns geworfen und nichts sonst. Tagesstruktur schaffen. Gartenzeiten einführen. Bescherung, das war dieses Jahr tagelang. Immer wieder standen Großeltern, Tanten, Paten vor dem Zaun, erreichten uns Durchhaltepäckchen. Hart war es trotzdem. An Heiligabend traf ich eine Entscheidung. Wir würden die Quarantäne heute brechen. Wie sollte sonst auch das Christkind seine Geschenke deponieren? Wo blieb der Zauber? Am frühen Nachmittag zogen wir uns an, als würde es irgendjemand wahrnehmen, dass wir die besten Sonntagssachen trugen. Wir gingen direkt aufs Feld und von dort in den Wald. Im Gepäck die Weihnachtsgeschichte und in einer Laterne das Friedenslicht. Es war still. Vereinzelte Spaziergänger kreuzten unseren Weg. An der ersten Bank machten wir halt. Ihr Kinderlein kommet, sangen wir. Menschen blieben stehen, auf Abstand, lauschten, gingen still weiter. Dann lasen wir. Eine fremde Familie kam vorbei: „Was macht ihr?“ – „Wir lesen die Weihnachtsgeschichte. Wollt ihr bleiben?“ – „Ich würde, aber die Kinder sind zu aufgeregt … aber … wow … wie schön.“ Wir singen Stille Nacht. „Ist noch was wichtig?“, frage ich die Kinder, „Wollt ihr noch beten?“. „Ja“, sagt der Mini, „Für Evi“. Evi ist unsere Vermieterin und im September gestorben. Der Raum, den sie im Herzen der Kinder einnimmt, ist groß. Also beten wir. Und singen noch eine Strophe für sie. Als wir uns auf den Heimweg machen dämmert es schon. Wir sind still. Schön ist das, denke ich. Auch wenn es heut für mich persönlich keine Bescherung gibt, keine Familie außer den Kindern. Auch wenn ich weiß, wenn sie im Bett sind, werde ich allein mit einem Glas Wein vor dem Baum sitzen und vielleicht ein bisschen einsam sein. Aber da ist auch ein Zauber, der in der Stille des Waldes entstanden ist. Und ich weiß, da ist eine neue Tradition geboren für mich und die Kinder. Ich drehe mich um und schaue noch einmal Richtung Wald. Der graue Himmel ist aufgerissen und explodiert im Farbspiel des Sonnenuntergangs. „Schaut mal“, flüstere ich den Kindern zu, „Euer Gebet ist angekommen“. Und dann war Weihnachten.
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APOKALYPSE – UND DANN?
8. Dez. 2021
Was für eine Nacht! Es sind keine quälenden Albträume, die mich haben aufschrecken lassen. Auch das zwar volle, aber machbare Programm des anstehenden Tages allein kann es nicht sein, das mich gegen meine Gewohnheit gleich mehrmals letzte Nacht wach werden lässt. Und auch der um die Dächer pfeifende Spätherbst-Sturmwind ist zwar gut hörbar, hat mich aber nicht (bewusst) geweckt. Muss also eine Mischung aus allem Möglichen zusammen … Wieder einschlafen geht nicht; wach liegen bleiben auch nicht. Ich stehe auf, geistere durch die dunkle Wohnung und stelle das Radio an. Im Nachtprogramm läuft die Apokalypse an: „Also sprach von Zarathustra“ von Richard Strauss. Der Einstieg weltberühmt durch die Filmmusik von Kubricks „Odyssee im Weltraum“. Geschockt und fasziniert zugleich lasse ich das monumentale Auf- oder Untergangsszenario an mir vorbei-, nein, auf mich einrauschen. Inhaltlich greift Strauss auf Nietzsche zurück. Und lässt damit dessen im Zarathustra vorgestellten Übermenschen erscheinen – ohne den der Herrenmensch des Nationalsozialismus und die Apokalypse des Zweiten Weltkriegs nicht denkbar waren. Verwirrt, aber entschlossen, die Nacht nicht komplett „durchzumachen“, lege ich mich wieder hin. Nach einer kurzen Schlafphase wache ich erneut auf – und gehe noch mal zum Radio. Wieder ein weltberühmtes Stück und wieder Strauß, aber diesmal Johann junior: „An der schönen blauen Donau“ – die Unbeschwertheit schlechthin, in Töne und Tanzschritte gefasst. Gerädert wie ich bin, kann ich ob der Ironie des musikalischen Kontrastprogramms nur (sehr) müde lächeln. War nicht die walzerselige Donaumonarchie Österreich-Ungarn in Wahrheit ein Tanz auf dem Imperialismus-Vulkan, der für Österreich wie für Deutschland mit dem Ersten Weltkrieg in die Luft flog? Ich versuche wieder, im Bett zur Ruhe zu kommen. Nach der nächsten Kurzschlafphase ist es zwar noch dunkel, aber schon früher Morgen. Und wieder verlasse ich das Bett. Die ersten Frühschicht-Menschen sind draußen auf dem Weg zur Arbeit. Und diesmal kommt mir ohne Radio eine Musik-Assoziation. Zehn Tage ist es her, dass wir mit meinem Chor ein Konzert hatten. Das erste nach zwanzig Monaten Zwangspause. Und gleichzeitig vermutlich wieder das letzte für längere Zeit dank vierter Welle, die apokalyptischer zu werden droht als alles bisher Erlebte. Aber diesmal ist es ein positives Gefühl, das mir trotz Übernächtigung Kraft für den Tag gibt. Im Modus 2G+ standen drei Bachkantaten auf dem Konzertprogramm, die passender für die Zeit zwischen November und Dezember, zwischen Pandemiepanik, Nüchternheitsnotwendigkeit und Zuversicht nicht sein könnten: „Herr Jesu Christ, wahr‘ Mensch und Gott“, „Wer weiß, wie nahe mir mein Ende“ und „Wachet auf, ruft uns die Stimme“. Was für ein Weckruf in den Tag!
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DER NAME DER ROSE. (2. TEIL)
1. Dez. 2021
Herbst 2021: Es hat begonnen zu regen. Wir stehen in einem Halbkreis im Kreuzgang an der Apsis des Hildesheimer Doms. Vor uns steht Frau Q, unsere Stadtführerin. Mit ihren feuerroten Haaren, kombiniert mit bemerkenswert modischer Kleidung, die einer ausgebildeten Tänzerin würdig ist, hat sie uns mit einem strahlenden Lächeln, direkt vor dem Domportal empfangen. „Lassen Sie uns vor der Führung zusammen beten oder singen.“ Und so stimmen wir unter dem Schutz unserer Masken und im notwendigen Mindestabstand ein: Maria, breit den Mantel aus, mach Schirm und Schild für uns daraus; lass uns darunter sicher stehn, bis alle Stürm vorübergehn. „Sie kommen aus Aachen? Ach wie schön, dass passt ja gut! Denn wir in Hildesheim sind sehr mit ihrer Stadt verbunden. – In Aachen müssen Sie wissen, befinden sich die berühmtesten Stoffe Europas! Zum Beispiel das Kleid Mariens. Um das Jahr 815 wurde ein Stück des Ärmels abgeschnitten und zu uns nach Hildesheim geschickt. Seither wird er hier verwahrt! Und es gibt noch eine andere Geschichte, die erzähle ich ihnen aber bei der Rose!“ Und dann stehen wir bei der 1000jährigen Rose, die an der Außenseite, der Dom-Apsis emporwächst. „Damals 815, soll Ludwig der Fromme als Sohn und Nachfolger Kaiser Karls des Großen zwischen den Blüten einer wilden Heckenrose eine kostbares Reliquiar vergessen haben, das er dort für eine Messe hatte aufhängen lassen. Als er zurückkehrte, um das Reliquiar wieder zu holen, ließ es sich nicht mehr vom Rosenstock entfernen. Ludwig sah darin ein Zeichen und ließ zu Ehren der Mariens an Ort und Stelle eine Kapelle bauen, die sich zu dem entwickelte, was wir heute als den Hildesheimer Dom kennen. Diese Rose ist uns besonders wertvoll! Sie gibt uns Hoffnung, vor allem wenn es einmal schwierig wird! Und das hat auch mit dem zu tun, was kurz vor Ende des Zweiten Weltkrieges geschehen ist. Bei einem Bombenangriff im März 1945 verbrannte der Rosenstock fast völlig und lag unter den Trümmern der Apsis begraben. Aber als die ersten Trümmer beseitigt worden waren, sprossen acht Wochen nach der völligen Zerstörung des Hildesheimer Doms aus den verschütteten Wurzeln 25 neue Triebe! Und heute umrankt diese Rose wieder den neu aufgebauten Dom – ein Wunder, wenn sie mich fragen! In Hildesheim gibt es einen Satz der lautet: ‚So lange die Rose blüht, vergeht nimmer diese Stadt.‘ – schön oder?! Im Inneren des Doms können Sie auch das Gefäß sehen, in dem das Stück des Marienkleides bis heute verwahrt wird.“ Zwei Tage später. Es regnet. Schon wieder. Ich sitze im ICE und blicke auf die an mir vorbeifliegenden Landschaften. Es war meine erste größere Dienstreise seit langem. Es tat gut, wieder Menschen analog zu treffen, wenn auch mit großen Sicherheitsmaßnahmen ,sich auszutauschen und miteinander Kaffee zu trinken. Und ich denke an Herrn M und Frau Q und ihre Begeisterung für ihre Geschichte(n). Beide waren so voller Motivation und Hoffnung. Etwas, das mir in den Zeiten der Pandemie manchmal fehlt. Und ich nehme mir vor, nach meiner Rückkehr, bewusst den Ort in Aachen aufzusuchen, an dem ich jahrelang gedankenlos vorbeigegangen bin. Neben einer Seitenkapelle des Aachener Doms wächst ein Ableger der 1000jährigen Rose. „So lange die Rose blüht, vergeht nimmer diese Stadt.“ Schön, oder?!
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DER NAME DER ROSE (1. TEIL)
24. Nov. 2021
Frühjahr 2014 In einer Gruppe stehen sie dicht gedrängt zusammen, feixen und stecken ihre Köpfe zusammen – jungen Menschen, in der Chorhalle des Aachener Doms. Vor ihnen steht Herr M, ein netter älterer Mann, der irgendwo zwischen freundlichem Großvater und arriviertem Hochschullehrer changiert. Der goldene Kasten mit Glashülle, um den sich die Gruppe versammelt, wird von ihnen teils neugierig, teils desinteressiert gemustert. Herr M ergreift das Wort: „War von euch schon mal jemand verliebt?“ Verschämte Blicke, Gekichere, aber auch die eine oder andere scheu nach oben gestreckte Hand. „Wer von euch ist gerade glücklich verliebt und in einer Partnerschaft?“ Ein paar Hände bleiben oben. „Und wer von euch hat ein Bild seines Partners heute dabei?“ Es findet sich tatsächlich jemand, der aufzeigt. „Ok, ich gebe dir, sagen wir 20 Euro, wenn Du das Foto jetzt zerreißt!“ Ungläubiger aber entschiedener Protest! „Nein?! Auf keinen Fall also? – Warum nicht? Es ist doch nur Papier, das chemisch behandelt ist!“ „Ok, das Foto ist also wichtig, weil es eben mehr ist als nur das? Es erinnert dich an deinen Partner, den du lieb hast?!“ Die Gruppe ist jetzt ganz bei der Sache! „Ja, das verstehe ich. Bei den Dingen hier im Goldschrein ist das für mich und viele andere Menschen ganz ähnlich. Hier liegen ganz besondere Stoffstücke. Stoffe, die für uns als Christinnen und Christen wichtig sind, weil sie uns an wichtige Aspekte unseres Glaubens erinnern, die uns Kraft geben, wenn es einmal besonders schwierig ist. Das Tuch der Enthauptung von Johannes dem Täufer bedeutet für mich, dass manche meiner meiner Überzeugung so wichtig sind, dass ich mich stark mache und für sie einstehe, auch wenn das sehr sehr schwer und mit persönlichen Nachteilen verbunden sein kann … Die Windel Jesu sagt mir, dass Gott nicht irgendwo weit weg und verborgen auf einem Thron sitzt, sondern uns so sehr liebt, dass er bei uns sein will, dass er ein Kind wird, dass nun ja, auch auf Windeln angewiesen war … Das grobe, blutbefleckte Leinentuch soll Jesus am Kreuz getragen haben. Es zeigt mir, dass der Gott an den ich glaube, ein Gott ist, der auch die Abgründe menschlichen Leidens kennt, weil er sie selbst am eigenen Leib erlebt hat … Und schließlich, das Kleid Mariens das mich an die Kraft und Energie einer jungen Frau erinnert, die aus freien Stücken zu einer persönlichen Herausforderung ja sagen kann und dabei die Situation um sich herum nicht aus dem Auge verliert …* All das ist mir in meinem Leben wichtig und trägt mich wenn es einmal schwierig wird. Und so ging und geht es vielen Menschen in und um Aachen! Diese Stoffe waren und sind Hoffnungszeichen seit langer Zeit! Ob 1945, als die durch den Krieg geretteten Heiligtümer in der völlig zerstörten Stadt wieder gezeigt werden konnten, oder eben heute, 2014.“ Die Gruppe lauscht den Ausführungen von Herrn M gebannt. Es scheint, als würden sie verstehen, was es mit den Tüchern auf sich hat. Auch ich bin berührt und nachdenklich. Und so verlasse ich den Dom beschenkt mit einer für mich ganz neuen Perspektive. Und doch nehme ich etwas nicht wahr. Etwas, an dem ich schon jahrelang jeden Tag gedankenlos auf meinem Arbeitsweg vorbeigehe. Etwas, das mich Jahre später einholt … * Aus dem Lukasevangelium: Da sagte Maria: »Ich bin die Dienerin des Herrn. Was du gesagt hast, soll mit mir geschehen. …(Der Herr) hat die in alle Winde zerstreut, deren Gesinnung stolz und hochmütig ist. Er hat die Mächtigen vom Thron gestürzt und die Geringen emporgehoben. Den Hungrigen hat er die Hände mit Gutem gefüllt und die Reichen hat er mit leeren Händen fortgeschickt.
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AM ENDE EINES LEBENS
17. Nov. 2021
Donnerstagabend, 21.00 Uhr. Mit Laptop und Tee mache ich es mir auf der Couch gemütlich. Fünf Minuten später klingelt erwartungsgemäß mein Handy. „Hey, guten Abend – alles gut bei Dir?“ – ein paar Sätze gehen hin und her, was gerade so los ist bei uns, wir erzählen uns, wie fit oder müde wir gerade sind. „Okay, dann wie immer – ich hole Dich ab, wenn was kommt?“ Ja, so machen wir’s. „Auf eine ruhige Nacht, schlaf gut und bis spätestens morgen!“ Ich lege das Handy aus der Hand, überprüfe die Tasche, die fertig gepackt im Flur steht, lege noch eine Wasserflasche rein und nehme im Gegenzug den Piepser mit auf die Couch. Um 21.30 Uhr schalte ich den schonmal ein – die Bereitschaft für die Notfallseelsorge beginnt eigentlich erst um 22.00 Uhr, aber mir hilft es, nicht erst um fünf vor „bereit“ zu sein. Ich sinke zurück auf die Couch, verbrenne mir die Zunge am Tee und versuche, nicht zu angespannt zu sein. Auch nach zwei Jahren, in denen ich schon einige Bereitschaften übernommen habe, ist das nicht immer leicht. Bei jedem Blaulicht, jeder Sirene, die draußen vorbeifährt, werde ich hellhörig, prüfe immer wieder Piepser und Handy. Nichts. Ich gehe ins Bett. Der Melder liegt auf dem Nachttisch, mein Schlaf ist unruhig, wie immer in diesen Nächten. 3.51 Uhr – es piept. Binnen zwei Sekunden bin ich senkrecht und bis der Anruf kommt, wohin wir fahren und um was es geht, habe ich schon die Kontaktlinsen drin, ein Kaugummi eingeworfen und bin startbereit. Wie verabredet sammle ich meine Kollegin ein. Wir fahren durch die dunkle Stadt in eine Wohngegend. Alles ist still. Als wir aussteigen, trifft zeitgleich der ärztliche Bereitschaftsdienst ein. Wir betreten gemeinsam die Wohnung. Ein älterer Mann mit einer heiklen Vorerkrankungen ist plötzlich verstorben. Seine Frau bittet uns herein, sichtlich aufgelöst. Wir gehen mit ihr in die Küche, während der Arzt die nötigen Untersuchungen vornimmt. In der Küche erzählt sie, dass sie in der Nacht irgendwann unruhig geworden ist, als Ihr Mann nicht ins Bett kam. Sie wollte schauen, ob er auf der Couch eingeschlafen ist, wie so oft in letzter Zeit. Dort hat sie ihn gefunden. Den Notarzt gerufen, gedacht, sie begleite ihn nochmal ins Krankenhaus – das kennt sie schon. Doch es war nichts mehr zu machen. Sie erzählt von ihrem gemeinsamen Alltag, von Zubettgeh-Gewohnheiten und muss abwechselnd lächeln, weil sie so glücklich waren und weinen, wenn die traurige Erkenntnis sich Bahn schlägt. Irgendwann bittet der Arzt sie zurück ins Wohnzimmer. Er konnte eine natürliche Todesursache feststellen – wir atmen auf; das erspart dem Verstorbenen und auch seiner Frau viel in diesem Moment. Wir sprechen noch kurz mit ihr, ob sie noch etwas braucht, ob sie jemanden anrufen will, wir warten sollen, bis Angehörige da sind. Oft ist das so, in vielen Einsätzen scheuen es Angehörige, alleine mit den Verstorbenen zu bleiben, selbst wenn eigentlich nichts dagegen spricht. Doch in dieser Nacht ist es anders. Nein, sie brauche nichts mehr. Ihre Nachbarin wisse Bescheid. Sie will den frühen Morgen allein mit ihrem Mann verbringen, bevor sie alles in die Wege leitet. Sie will Abschied nehmen, für sich selbst die Schritte gehen, die jetzt dran sind. Ihn vielleicht nochmal ordentlich zudecken, die Hände streicheln, die Stirn küssen. Und irgendwann die Wohnzimmertür schließen und den Bestatter anrufen. Zum Abschied umarmen wir sie und treten hinaus in den heraufziehenden Morgen. Ein paar Vögel sind wach geworden und krächzen. Die Stadt erwacht langsam und wir fädeln uns schweigend in den Verkehr ein. „Kaffee?“ – Unbedingt.
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PERFEKTES FINNISCH
10. Nov. 2021
Anteeksi kuinka? Frei nach der Sendung mit der Maus: Das war Finnisch. „Wie bitte?“, heißt das übersetzt. Berechtigte Frage: Warum jetzt Finnisch? Um es gleich vorwegzusagen: Ich spreche weder Finnisch noch verstehe ich etwas in dieser Sprache. Schon von klein auf habe ich mich für Sprachen interessiert. Ich fand es faszinierend, Worte aufzuschnappen, wenn meine Familie Menschen aus anderen Ländern begegnete, Worte, die sich wiederholten und deren Bedeutung sich mir irgendwann erschloss. Bitte, danke, guten Tag. Ab und zu war ich bei einer Gruppe dabei, die Lieder aus dem Büchlein „Die Mundorgel“ sang. Darin steht immer noch das Lied mit diesem leicht nervigen Anfang: „Hallelu, Hallelu, Hallelu, Halleluja …“, und darunter die Übersetzung von „preiset den Herrn“ in allen möglichen Sprachen. Kiittäkää häraa. Das war Finnisch. Kaum auszudenken, was in einer solchen Sprache „bitte“, „danke“, „guten Tag“ wohl hieße. Völlig aufregend fand ich dann die Information, dass Finnisch nicht etwa mit den Sprachen der Nachbarländer verwandt ist, sondern mit Ungarisch. Ausgerechnet. Wie kommt sowas? Irgendwann hörte ich Nachrichten im Radio, mehr so nebenbei. Es gab Neues vom Sport und die sensationelle Nachricht, dass Kimi Räikkönen (oder war es Mika Häkkinen?) ein Rennen gewonnen hatte, und zwar mit einem perfekten Finish. Ich war gerade so gedankenverloren, dass ich im ersten Moment dachte: Klar. Der ist doch auch Finne. Viele weibliche Wesen in meiner Umgebung bekommen Herzchen in die Ohren, wenn Samu Haber von „Sunrise Avenue“ in deutschen Fernsehsendungen auftritt. Ein Finne, der mehr oder weniger gut die deutsche Sprache beherrscht, aber sie so spricht, als käme er mit seiner tiefen Stimme mitten aus einer geheimnisvollen Schneelandschaft. Genauso tief sprachen vier junge Männer im Großraumabteil neben mir, in dem ich von der Schweiz aus auf der Heimfahrt war. Solche Fahrten mache ich am liebsten nachts, um keine Zeit zu verdaddeln, schlafen kann ich eigentlich überall. Wenn nicht gerade, wie in diesem Zug, um drei Uhr in Pforzheim ein schwer betrunkener junger Mann von seinen Freunden hineingeschleift worden wäre, nur um einen Rettungseinsatz auszulösen und uns in Stuttgart einen längeren Aufenthalt zu bescheren, bis der Krankenwagen da war. Dem sonoren Klang der Stimmen der vier jungen Männer zuzuhören, die sich von dem lauten und drängenden Geschehen im Großraum hinter uns überhaupt nicht aus der Fassung bringen ließen, das beruhigte mich, irgendwann schlief ich doch wieder ein. Ich hatte sie vorher gefragt: Es war Finnisch. Es gibt Dinge, die begegnen mir immer wieder und ziehen sich wie Spuren durch meine Erinnerungen. Finnisch, das finde ich genauso faszinierend, wie ich damit nichts damit anfangen kann. Vielleicht ist das mit anderen Dingen auch so? Bei mir und anderen? Mit einem Menschen vielleicht, der mal in meinem Leben Spuren hinterlassen hat, der mich interessiert, aber der es zu mehr Bedeutung nicht gebracht hat, keine Freundin, kein Freund geworden ist, weil er oder sie mir letzten Endes doch völlig fremd bleibt? Ob das noch etwas wird mit dem Menschen und mir? Oder vielleicht: mit dem Finnisch?
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